Wir Gastrosexuellen können immer ein Küchengerät nennen, das wir noch nicht besitzen, das dummerweise fehlt im Maschinenpark, das aber wirklich wichtig wäre, um unsere Kochkunst zu perfektionieren. Wenn die Messerfrage geklärt ist, dann beschäftigen wir uns vielleicht mit dem Herd und dem Ofen. Dann landen wir ganz bestimmt bei einer Mischung aus Induktions- und Gasherd und ersetzen unseren Backofen schon ziemlich bald durch einen Kombidämpfer, in dem man eben nicht nur backen, sondern auch dämpfen beziehungsweise garen, auftauen, warmhalten, braten, backen, pochieren und auch frittieren kann. Diese modernen Öfen wurden entwickelt, um die Feuchttemperatur im Garraum besser regulieren zu können und verschiedene Garmethoden miteinander zu kombinieren. So wird das Fleisch eines Hähnchens im Kombidämpfer in feuchter Hitze gegart, während seine Haut gleichzeitig gebräunt wird.
Ein typisches Gespräch unter Gastrosexuellen verläuft also folgendermaßen: „Wie garst du die Ochsenbäckchen?“, fragt der eine, und der andere überlegt nicht lange: „Ich schmore sie bei niedriger Temperatur im Vakuumbeutel.“ Prompt wird nachgehakt: „Kombidämpfer oder Wasserbad?“ Ist auch diese Frage geklärt, fachsimpelt man vielleicht noch über die verschiedenen Vakuumierertypen – und stellt gemeinsam fest, dass man sich das falsche Modell, nämlich einen Ansaug- und leider, leider keinen Kammervakuumierer zugelegt habe, so dass alle Flüssigkeiten, die ja fürs Schmoren erforderlich sind, erst einmal eingefroren werden müssen, um nicht in der Ansaugvorrichtung des Vakuumierers zu landen. Sind Gastrosexuelle unter sich, geht es auch gerne mal um Geräte, die ganz bestimmt nie in der eigenen Küche stehen werden. Dann dreht sich das Gespräch um Rotationsverdampfer, Zentrifugen oder Hochleistungshomogenisatoren.
Warum das alles? Ganz einfach: Weil wir gastrosexuellen Männer uns begeistern lassen von außergewöhnlichen Aromen und Konsistenzen, die wir in Spitzenrestaurants erlebt haben und die wir auch am heimischen Herd herstellen wollen. Dummerweise – zumindest für die Haushaltskasse – braucht man für das eine oder andere Vergnügen ganz besondere Küchengeräte. Vielleicht keinen Rotationsverdampfer und auch keine Zentrifuge. Aber einen guten Entsafter, einen Dörr-Automaten und einen Salamander schon. Mixer, Rührgerät, Zauberstab sowieso. Sahnesiphon und Handräuchergerät auch …
Doch was tun, wenn kein Platz mehr ist in der Küche für all die Ausrüstung? Dann okkupieren wir – das Einverständnis unserer Liebsten vorausgesetzt – das Wohnzimmer. So wie der sympathische Genussfanatiker Ralf Bos, der in Meerbusch bei Düsseldorf den Feinkostvertrieb Bos Food betreibt und der, wenn er nicht im Büro ist, in der Küche lebt. Ein klassisches Wohnzimmer sucht man in seinem Haus vergebens. „In der Küche steht auch ein Sofa und ein Fernseher. Abends kuscheln wir auch auf dem Sofa, aber das Zentrum dieses Zimmers ist der Küchenblock. Ich möchte nicht im Wohnzimmer sitzen und von dort in die Küche gehen, ich möchte in der Küche leben. Weil man sich da auch am wohlsten fühlt.“
Was Ralf Bos umgesetzt hat, ist eine Gastrosexuellen-Phantasie. Wohnen ist kochen ist wohnen. Ich höre immer häufiger, dass begeisterte Hobbyköche, wenn es die Räumlichkeiten zulassen, die Trennung von Küche und Wohnzimmer in den eigenen vier Wänden aufheben – selbst wenn andere Familienmitglieder darunter leiden sollten, denn es kann schon passieren, dass die Tochter fernsehen möchte, aber nichts mehr hört, weil Papi wieder mal den Pacojet angeworfen hat.
Der Pacojet. Diese Wunderwaffe aus dem Küchengeräte-Arsenal eines Gastrosexuellen habe ich ja schon erwähnt, und in diesem Kapitel werde ich mich nun ganz besonders intensiv mit der Kopffräse beschäftigen. Seitdem die Maschine in meiner Küche steht, weiß ich endgültig, dass für mich das Kochen mehr ist als eine ganz gewöhnliche Freizeitbeschäftigung. Auch meine Freunde, die keine Ahnung vom Kochen haben, gehen davon aus, dass ich mir im Laufe der kommenden Jahre noch viel verrücktere Geräte anschaffen werde.
Wenn Gastrosexuelle auf den Pacojet angesprochen werden, geraten sie ins Schwärmen, als würden sie von einer jahrzehntelang verheimlichten Geliebten sprechen. So auch Peter Wagner: „Wer mal in einem Sternelokal Sorbets, Eiscreme, überhaupt cremige und gefrorene Texturen im Mund hatte, die ihm das Gefühl gegeben haben, als würden Engel ihm auf der Zunge einen flotten Dreier machen, wird diese Gefühl nicht vergessen und sich fragen: Wie hat der Koch das gemacht? Ich will das auch können.“ Und dann beim Pacojet landen.
Das Gerät ist, wenn es zu fräsen beginnt, schrecklich laut, und man sollte die Nachbarn zumindest informieren, was es mit diesem Lärm auf sich hat, denn ansonsten könnte es schon sein, dass überraschend die Polizei vor der Tür steht. Und leider ist der Pacojet, der nur in verhältnismäßig kleinen Stückzahlen für die Profigastronomie produziert wird, schrecklich teuer. Mein Tipp: Einen runden Geburtstag abwarten, sich mal keinen schlechten Wein oder doofen Nippes schenken lassen, sondern sehr pragmatisch vorschlagen: „Ich habe einen Wunsch und sonst keinen. Ja, genau, ich wünsche mir eine ganz besondere Küchenmaschine.“ Mit dieser Methode kann man sich natürlich so gut wie alles zusammenschenken lassen. Bloß schade, dass man so selten dreißig, vierzig oder fünfzig wird.
Es ist schon erstaunlich, wo ich der genialen Kopffräse überall begegnet bin. Keineswegs nur in schicken Einfamilienhäusern mit Wohnzimmern, die heute als Küchenparadies fungieren. Nein, auch in einer eher studentischen WG in Berlin-Charlottenburg. Ich bin zu Besuch bei Axel Herrmann, der so unprätentiös und zugleich so euphorisch über Essen reden kann, dass ich seine Antwort auf meine Frage, ob er auch ein Gastrosexueller sei, gleich noch mal zitieren möchte: „Ich glaube, ich habe noch nie beim Sex Tränen in den Augen gehabt, aber beim Essen schon.“ Toll.
Wenn Axel Herrmann gefragt wird, was er und seine Sternefresser tun, dann sagt er: „Das ist eine kleine illustre Gruppe junger Männer, die gerne essen gehen und darüber schreiben.“ Und das liest sich nach einem Besuch im Sylter Söl’ring Hof zum Beispiel so: „Der heimische Fisch, der am selben Tag mit dem hauseigenen Boot gefangen wurde, könnte qualitativ nicht besser sein. Das Produkt schmeckt auf sehr filigrane Weise intensiv. Die Flankierung durch ein Gurkensorbet liefert Frische, und der Dill in unterschiedlichen Ausgestaltungen (Öl, Puder, knusprig) kräutrige, aber dennoch feine Noten.“
Die Sternefresser gehen also in Lokale wie das von Johannes King, genießen und analysieren den Abend, veröffentlichen über das Erlebnis dann Texte im Netz, die sich ganz eindeutig an ein Publikum richten, für das gutes Essen wenig mit sozialem Status, aber sehr viel mit kulinarischer Perfektion zu tun hat – und mit jenem Glücksgefühl, das Axel Herrmann auch zu Tränen rührt. Ich habe nicht zufällig die Online-Kritik eines Menüs von Johannes King ausgesucht. Denn ich hatte bisher zweimal das Vergnügen, in seinem Restaurant zu essen, und ich kannte auch das beschriebene Gericht. Inhaltlich stimme ich dem Urteil zu, allerdings frage ich mich seit Jahren, ob sich nicht über Essen genauso ernsthaft, aber weniger gespreizt schreiben ließe. Gerade die besten Geschmackskritiker im Lande, so mein Eindruck, versuchen ihre kulinarische Kennerschaft mit einer übertrieben elaborierten und damit oft uneleganten Sprache zu beweisen. Warum eigentlich?
Natürlich war ich neugierig, ob Herrmann nicht nur über Flankierungen und Ausgestaltungen auf dem Teller schreiben kann, sondern ob es schmeckt, wenn er selbst etwas anrichtet. Ich bat ihn im Vorgespräch darum, eine Kleinigkeit vorzubereiten, die mit dem Pacojet hergestellt wird, und schon als ich die Küche betrete, ahne ich bereits, dass aus der Kleinigkeit ein Arrangement mit diversen Komponenten geworden ist. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen und halte mich für einen Schmarotzer, der nur vorgibt, die ambitioniertesten Hobbyköche im Lande zu interviewen, um von ihnen verköstigt zu werden. Mein ganzes Projekt erscheint mir plötzlich ziemlich zweifelhaft. Axel Herrmann hingegen gibt mir das Gefühl, dass ich weder ein kulinarischer Schnorrer bin noch mit verrückten Fragen ankomme. Im Gegenteil. Ich denke ständig: Huch, der Typ tickt ja genau wie ich. Anmerken lasse ich mir das natürlich nicht und bleibe halbwegs seriös in der Reporterrolle.
Während Herrmann den Teller anrichtet, erklärt er, was er mir präsentieren möchte: „Das ist ein kleiner Versuch. Champignonscheiben, sehr dünn geschnitten, darauf befindet sich ein Pulver von angerösteten Petersilienwurzeln. Das kombiniere ich mit Petersilienwurzelpüree, Petersilie frisch und einer Kaki.“ Das hört sich einfach an, aber als mir das Gericht schließlich serviert wird, sieht es doch sehr kompliziert aus.
Die frische Petersiliensauce ist äußerst fein, weil sie im Pacojet hergestellt wird. Mit einer kleinen Spritzflasche tupft Axel Herrmann hocharomatisches Petersilienwurzelpüree auf den Teller, und dann kommt etwas, das ich auf diese Weise noch nie gegessen habe: „Ich habe hier meine Kaki, die einen etwas längeren Arbeitsprozess hinter sich hat. Die habe ich aufgeschnitten und im Ofen angetrocknet, sie dann eingefroren, noch mal leicht getrocknet, schließlich wieder eingefroren. Der Effekt ist, dass die Zellstrukturen aufgebrochen werden und durch den Wasserverlust auch eine Konzentration der Konsistenz eintritt. Die Kaki erinnert sonst eher an eine festere, etwas unreife Melone, aber wenn ich sie so behandele, dann hat sie etwas Fleischiges. Das war die Idee, die hinter dem Gericht steckt: sie wie ein Fleischprodukt zu behandeln.“
Ich habe natürlich erwartet, dass er die Fleisch-Kaki auch noch in den Pacojet steckt oder sie in einen gasförmigen Zustand transformiert, aber der Mann will nicht auftrumpfen, weder mit dem, was er sagt, noch mit dem, was er kocht. Er holt nur schnell mal einen Bunsenbrenner heraus, flämmt den Kaki-Quader ab und setzt ihn in die Mitte des Tellers. Und erklärt: „Ich definiere mit der Kaki das Zentrum des Tellers.“ Ich halte die Wortwahl für etwas übertrieben, aber als ich sehe, wie sich alle übrigen Elemente um die Kaki gruppieren, muss ich zugeben: Ja, hier wurde das Zentrum des Tellers definiert.
Wir Amateurköche haben, gerade was unsere eigenen Kreationen angeht, die höchsten Ansprüche. Wenn etwas nicht klappt, ist es auch nicht so schlimm. Wir sind ja Amateure. Gelingt ein Gericht, halten wir uns für Profis. Jedenfalls bis zur nächsten Herausforderung. Manchmal erkennen wir nicht, wo unsere Grenzen liegen, wenn wir zum Beispiel mit Flüssigstickstoff hantieren. Ja, Flüssigstickstoff. Feine Sache. Damit können warme Nahrungsmittel cryopochiert werden, so dass sich eine gefrorene Hautschicht bildet, während der Kern noch flüssig bleibt. Nur wenn man keinen entsprechenden Druckbehälter oder einen guten Schutzhandschuh besitzt und sich mit diesem Stoff und seiner extrem niedrigen Temperatur nicht auskennt, sollte man besser die Finger davon lassen. Ansonsten wiederholt sich das Drama eines jungen Kochs aus Brandeburgs, der in der Wohnung seiner Freundin mit flüssigem Stickstoff experimentierte, eine Explosion verursachte und dadurch eine Hand verlor. Wer unbedingt eine Cryo-Praline probieren möchte, dem empfehle ich das Restaurant Avui in Stuttgart-Fellbach. Unterhalb der rustikalen und ebenfalls guten Gaststube des Hirschen kocht und laboriert Armin Karrer in einem kleinen Kellergewölbe, und der Mann hat mir die bislang beste Stickstoff-Schokoladenkugel serviert.
Zurück zu Herrmanns Kaki-Versuch. Der schmeckt wirklich überraschend, nämlich fruchtig und erdig; das Tellerzentrum ist Obst und Gemüse zugleich, und irgendwie auch Fisch und Fleisch, und das begreife ich vor allem, als ich die Pacojet-Petersilie und das Wurzelpüree koste. Alles passt zusammen. Dass Herrmann bestimmte Komponenten mit Küchengeräten hergestellt hat, die es im Privathaushalt normalerweise nicht gibt, und dass ein durchschnittlicher Hobbykoch sich eher selten mit so vielen Arbeitsschritten quält, merkt man der Komposition auch nicht an.
Wir kommen noch einmal auf den Pacojet zu sprechen, und ich schlage vor, einen Küchengeräte-Verleih zu gründen. Statt sich einen Rotationsevaporator, den sich zum Beispiel Herrmann wünscht, tatsächlich zuzulegen, leiht man dieses Gerät für einen Abend, um endlich mal ein perfektes Destillat oder ein eigenes Aroma-Öl herstellen zu können. Kaum habe ich meine Geschäftsidee vorgeschlagen, denkt Herrmann darüber nach: Wie viele Kochfanatiker es wohl in Berlin gibt, die sich einen Vakuumverdampfer ausleihen würden? Werden sich die hohen Anschaffungskosten rentieren? Wie hoch müssten die Leihgebühren sein? „Wir werden die Fragen jetzt leider nicht klären“, unterbreche ich seine Grübeleien, aber wir wissen, dass wir Stammkunde bei diesem Anbieter wären.
Bevor ich aufbreche, schaue ich mich noch einmal um in seiner maximal zehn Quadratmeter großen Küche. Herrmann scheint diesen Blick zu kennen. Er lächelt mir zu. Ich nicke. Und entdecke ein Gerät, von dem ich nie gedacht hätte, dass man es auch zum Verfeinern von Speisen einsetzen kann: „Das ist eine Malerpistole“, sagt er. „Funktioniert so ähnlich wie Airbrush. Diese Pistole benutze ich, wenn ich eine Mousse mit einem Schokoladenvelours überziehen möchte. Also, nehmen wir mal eine klassische Schokoladenmousse. Die gebe ich in einen Zylinder, friere alles ein, fülle die Malerpistole mit einer Mischung aus fünfzig Prozent Kakaobutter und fünfzig Prozent dunkler Schokoladenkuvertüre, geschmolzen natürlich. Dann nehme ich die Mousse aus dem Gefrierfach, um sie mit der Schokolade zu besprühen. Es bildet sich ein veloursähnlicher Überzug, ganz fein, samtig von der Anmutung her.“
Noch auf dem Weg zur U-Bahn entscheide ich, nicht zum Hotel zu fahren, sondern gleich den nächsten Baumarkt aufzusuchen. Der Malerpistole wegen. Man kann sich, denke ich, doch mal unverbindlich informieren, wie teuer das Teil ist.